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Franz Joseph van der Grinten
Parallelschöpfung
Gestik und innere Gefügtheit bedingen einander in aller Kunst wie ja auch in den Erscheinungsformen des Lebens. Es macht den Reiz der Blüte aus, die sich als die einzig Einzelne entfaltet mit der Freiheit, die ihr das Gesetz gibt, nach dem sie seit unvordenklichen Zeiten sich bildet, wie bewusst und doch ursprungshaft ungewiss in ihrer eigenen Regung. Gestik entspringt aus Haltung, die Schwingung aus der Gefügtheit, vom Urgrund der letzteren sich hebend erst macht sich die erstere köstlich wahrnehmbar. Urgrund des Wissens, Regung der Erlebnisfähigkeit: Eine Wechselbelebung, und derart teilt sie sich mit, bewegt den, der ihr mit offenen Sinnen begegnet, im eigenen Tun wie im Schauen auf das, was andere getan, gemacht, geschaffen haben. Schwingung: die des Klangs, die der Farbe: Alle Künste stehen in ihrer äußersten Freiheit unter dem gleichen Gesetz. Die unerwarteten Sprünge sind im verbindenden Rhythmus gehalten, die Zuckungen der zeichnenden Hand im Fluss des Strichs, das äußerste Widereinander im Rahmen ihrer Harmonik, die weit genug gefasst ist, es zu binden zu der Einheit, die jeder lebendige Organismus, auch also der des Kunstwerks, sein muss. Die Künste, die unterschiedlichen, nicht immer sind sie sich ihrer wechselseitigen Nähe bewusst. Einem Musiker oder Dichter darf die Bildkunst fremd sein, einem Maler oder Bildhauer die Musik oder die Dichtung, obwohl das seltener der Fall ist. Harmonie, Poesie, Farbreiz, Plastizität sind ihrer aller unverzichtbare Mitgift. Manchmal grüßt der eine den anderen über ihrer beider Grenzen hinweg, es entstehen Gedichte zu Bildern, sinfonische Sätze spielen auf Verse, Figuren und Szenen an, Malerei erzeugt sich aus dem Erlebnis eines Klangwerks. Interpretationen, freie; Parallelschöpfung, die, mag ein anderer Autor als Auslösender mit ins Spiel geraten sein, doch vor allem für den zeugt, der sich angetrieben fühlte, sie zu schaffen, er selbst bereichert und aus seiner Bereicherung mitteilend an die, die gleich ihm empfänglich sind, und es verschlägt nichts, wenn etwa ein Musiker nicht zu verstehen imstande ist, was ein solches Bild mit der Musik, die er kennt, zu tun hat, die simultane Erscheinung in der Fläche mit dem musikalischen Satz in seinem Ablauf in Zeit und Raum.
Für Thomas Grochowiak ist die musikalische Welt ein wesentlicher Quellgrund seines bildnerischen Schaffens. Die Hinweise, die die Titel seiner Bilder auf die jeweilige musikalische Anregung geben, die von Mozart vor allem, aber auch die von Bach, Wagner, Bruckner, Debussy, Saint-Saëns, werfen in der Offenbarung von Affinitäten auch ein Licht auf seinen eigenen Charakter. Er hat Grazie, er hat Serenität – das Wort Heiterkeit würde hier zu leicht wiegen –, er hat eine freundliche, aus sich herausgehende Offenheit, er ist nicht finster, der Spannungsbogen schwingt, aber er splittert nicht, eher verhaltene Klänge, kein Bramarbasieren, nicht das insistierende Bohren von Kritik, alles ist deutlich, aber nichts ist Parole: Das reine Sein, und es sollte mit Nachdruck gesagt werden heutzutage, dass dieses seine Berechtigung hat wie stets, und dass es nicht weniger Zeugnis von seiner Zeit gibt als alles, was sich an Problemen reibt. Das reine Sein, eine Existenz in Klängen mehr als in Verschattungen, im Wohllaut, der zu klar bleibt, um bloß emotional vereinnahmt zu werden. In ihrer schwingend-schwebenden Gewichtung eine intelligente Kunst, nicht bloß wissend, sondern in ihrem Wissen frei. In allem, was er getan hat und tut, war und ist Thomas Grochowiak nie eingeengt. Er gehört zu denen für die Kunst glückhaften Gestalten, die aus eigener künstlerischer Befähigung und Erfahrung Kunst, die Kunst von anderen, lebendiger zu vermitteln vermögen als diejenigen, für die sie eine Materie ist, deren sie sich als zunächst Außenstehende und letztlich Draußen-Bleibende bemächtigen. Die große Reihe der Ausstellungen, die er als Direktor der Recklinghäuser Kunsthalle konzipiert hat, wird ihren Stellenwert behalten durch die unkonventionelle Zusammenschau von Phänomenen, die im Divergieren Gemeinsamkeit offenbaren konnten, wie in dem untrüglichen Blick für Qualität, der die Wahl bestimmte. Beides verdankt sich seinem eigenkünstlerischen Vermögen; auch als Autor von Büchern und Aufsätzen ist er der Maler. Und die eigene malerische Tätigkeit nahm sich ihr Recht aus dem Vergleich, dem sie sich aussetzte: Sich zu messen, kann dahin führen, die eigenen Dinge nicht gering zu schätzen; die eigene Erfahrung andererseits speist sich auch aus der kritischen Wahrnehmung des anderwärts Entstandenen. Die Kunstszene dauernd zu überblicken, ohne selbst in ihr herumgestoßen zu werden, mag denn auch die Beharrlichkeit gefördert haben, unbeirrt von Moden und Trends das schlüssig und organisch fortzuführen, das er als einer der Maler des »jungen westens« nach dem Krieg begonnen hatte: Ein ehrliches Lebenswerk, so, wie es ist.
Im Schauen wie im Hören unermüdlich und von fruchtbarer Genussfähigkeit, ist Thomas Grochowiak jemand, dem auch das Reisen Gewinn bringt, auch hier nicht per Beschreibung oder Konterfei, sondern in der Auslösung eigener Ausdrucksimpulse, die denn doch von der Situation, der sie sich verdanken, gefärbt, getönt, in Schwingung versetzt sind. Vor allem der Orient vom maurischen Spanien bis zum Fernen Osten spielt sich so ein; es ist reizvoll wahrzunehmen, wie Atmosphäre und Schriftzug sich in Eines binden, tektonisches Bruchstück und hieratisches Wort mosaikhaft und doch lose sich ineinander fügen. Das quasi chinesische Zeichen spricht anders als das gewissermaßen kufische, die Welt, die sich so ausdrückt, ist eine jeweils andere, sie hat einen anderen Klang. Und ist doch immer vor allem die des Thomas Grochowiak. Bilder wollen gemalt sein; klug, wer als Malender auf das lauscht, was sie von sich her wollen. Thomas Grochowiak stehen unterschiedliche Mittel zur Verfügung, ersetzt sie unterschiedlich ein. Kammermusikalisch oder sinfonisch – mögen denn im Vergleich musikalische Begriffe erlaubt sein –, in solistischer Einzelbewegung wie im ensemblehaften Zusammenklang, leuchtkräftig oder nuanciert, im Nebeneinander von Flächenkörpern und im transparenten Raum, in dichter Schichtung der ineinander sich verwebenden Züge und im freien Schweben der einzeln bleibenden, lose hingemalt und zeichnerisch dezidiert wie Kalligraphie, und so hauchartig verfließend wie in Verkröpfung. Kraft, die in allem ist, Lebendigkeit. Wache Augen ziehen schon im Augenblick des Sichtbarwerdens den Schluss, der den nächsten Zug der Hand mehr freigibt als bestimmt. Selber neugierig auf die Botschaft, die ihm werden soll, in dem er sie aus sich entlässt. Vom Lauschen war die Rede: Der Dichter ist es, der als erster sein Gedicht vernimmt, der Maler der, dem als erstem sich das Bild zu schauen gibt. Soll etwas gut sein, muss es die Freiheit haben, sich dahin zu entwickeln. Thomas Grochowiaks Gesetz ist ein sanftes. Es scheint, er hat die Fähigkeit zur Geduld, die auch das spontan Entstehende braucht, die persönliche Bescheidenheit, die letztlich anspruchsvoll ist, weil sie nicht sich selbst, sondern das Werk meint, von dem Gottfried Benn gesagt hat, wenn etwas fertig sei, müsse es vollendet sein.
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