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Ingeborg Ströle
Der Maler Thomas Grochowiak
Dass Musik für das gesamte Werk Thomas Grochowiaks zentrale und immer neue Quelle der Inspiration war, lässt sich bereits bei den kleinformatigen Aquarellen feststellen, die in den frühen 30er Jahren entstanden. Ihre Titel weisen auf eine intensive Auseinandersetzung mit der Musik Mozarts hin. Bereits 1932 setzt Grochowiak frei geformte Farbflächen nebeneinander, die von heftigen Tuschfeder-Linien umkreist und in Bewegung gesetzt zu werden scheinen. Die vom Format her unscheinbaren Blätter leben ganz aus dem Klang ihrer kräftigen Farbigkeit und der fulminanten Bewegung der abstrakten Formen und Linien (Etüde zu »Furioso«, 1932).
Im Laufe der 30er Jahre entstehen – parallel zu den abstrakten Arbeiten – auch Bilder, die in neusachlicher Prägung unprätentiös Gegenstände und Situationen des Alltags festhalten. Gegenüber der freien und heftigen Bewegtheit der frühen Musik-Aquarelle scheinen diese Bilder stilllebenhaft erstarrt. Im Aquarell »Fenster zum Hinterhof« von 1937 hält Grochowiak aber nicht nur ruhig-konstatierend eine eng verwinkelte und beengende Hinterhof-Idylle fest, das Bild zeigt zugleich eine vielschichtige Komposition geometrischer Flächen und frei bewegter Linien. Mit dem Baum und seinen weich schwingenden Zweigen – an denen trotz des Schnees bereits erste grüne Blätter sprießen – kommt Bewegung und Leben ins Bild.
Auch während des Kriegs ergibt sich für Grochowiak, der zur Luftnachrichtentruppe eingezogen wurde, Gelegenheit zu malen. Es entstehen Stilleben, Tierstudien und Landschaften, vor allem aber Porträts als Auftragsarbeiten. Ein Bild von 1946, »Stilleben mit Puppe (Die Ausgebooteten)«, gibt die Trostlosigkeit der Nachkriegssituation in symbolhafter Schwere wieder. Eng neben- und übereinander geschichtet zeigt Grochowiak ausrangierte, nutzlos gewordene Alltagsdinge, die in einer Ecke einer Rumpelkammer versammelt sind. Mit offen gesetzten Pinselstrichen modelliert er in fein abgestuften Brauntönen. Sparsam gesetzte Lichter verleihen einzelnen Gegenständen Glanz. Auch in den späten 40er Jahren entstehen Bilder zu Musik, die als Kompositionen aus bewegten amorphen Flächen und Formen den prägenden Einfluss von Ballett und Tanztheater spüren lassen.
Das Stilleben bleibt bis Ende der 40er Jahre Thema, wenn sich auch seine Malweise stark ändert. Grochowiak setzt nun große Farbflächen nebeneinander, die durch dunkle Konturen begrenzt werden und die Gegenstände nurmehr vereinfacht und ins Zweidimensionale reduziert wiedergeben (»Zwiebeln«, 1949). Das Interesse am Zusammenklang von Farbe, Fläche und Linie ist offensichtlich.
Diese Malweise behält Grochowiak auch Anfang der 50er Jahre bei, wenn sich auch zeitbedingt die Themen wandeln. Offensichtlich fasziniert von den Möglichkeiten der Technik wählt er – wie auch seine Freunde der Gruppe »junger westen« – als Sujet Geräte moderner Industrie und Technik (»Trecker tankt«, 1950). Wie das traditionelle Stilleben gibt ihm auch die Darstellung moderner Technik die Möglichkeit, das Zusammenspiel von Farbflächen und schwingenden Linien auszuloten.
Wie selbstverständlich scheint der nächste Schritt hin zur weitgehend vom Gegenstand gelösten konstruktivistisch-technoiden Komposition (»Technischer Bezirk II, Rot«, 1951). Einzelne Formen lassen noch Gegenständliches anklingen, treten aber gänzlich zurück zugunsten der abstrakten Komposition. Collagenartig zusammengefügte Farbflächen werden von bewegten Lineamenten überlagert bzw. miteinander in Beziehung gesetzt. Auch hinter einem Bild wie »Integration« (1951) – dem letzten in der Reihe der konstruktivistischen Arbeiten steht noch Gegenständliches – eine Gebäudefassade im Bauhausstil. Grochowiak greift diese aber nur als abstrakte Form winklig geordneter geometrischer Flächen in unterschiedlicher Beleuchtung auf. Ausgehend von dieser Formidee entsteht eine freie Komposition von Farbfeldern. Den geometrisch-winkligen Farbflächen sind im linken Bilddrittel weiche, runde Formen gegenübergestellt, so dass eine ausgewogene Komposition freier Formen und Flächen entsteht, die durch die Farbgebung eine eigene Räumlichkeit entwickelt.
Mitte der 50er Jahre verbringt Grochowiak die Sommerferien mit seiner Familie am Meer in Bergen aan Zee. Fasziniert von den Fundstücken am Strand entstehen Pastellbilder, die spielerisch leicht bizarre Formen in zuweilen fast surreal wirkende Kompositionen zusammenfügen (»Hollandreise – Formation im Irgendwo«, 1956). Grochowiak schichtet Flächen in starker Farbigkeit neben- und übereinander wie bei einer Collage, wobei die Oberflächen der einzelnen Farbflächen lebhaft strukturiert sind durch variierenden Farbauftrag und breite Linien, die die Flächen konturieren oder sich auch verselbständigen (»Aufbau mit eingefangenen Formen«, 1956/58).
Seit 1956 zielen, nach eigenen Angaben, seine »Malaktionen« immer wieder dahin, das Schwere zum Schweben zu bringen – Aktivität und Spontaneität, die sich in automatischer Pinselschrift durch Zeichen und vegetative Strich-Bündelungen äußern, mit in sich ruhenden Formen zu spannungsgeladenem Zusammenklang zu führen« (Thomas Grochowiak). Dies lässt sich an einem Bild wie Zen – Flächen und Zeichen« von 1958 unschwer nachvollziehen, das mit dem Titel auch explizit auf Grochowiaks Auseinandersetzung mit ostasiatischem Gedankengut hinweist. Er setzt in die obere Bildhälfte querrechteckige Farbflächen. Diese ruhigen, dicht nebeneinander geschichteten, kompakten Farbblöcke scheinen trotz ihrer Schwere über der weitgehend frei belassenen unteren Bildhälfte zu schweben. Dort ist ein duftiges Gebilde zu sehen, das sich aus wenigen zarten Linien und Farbflecken zusammensetzt und Ausdruck unbeschwert-freier Bewegung ist. Fein austariert bringt Grochowiak schwer und leicht, dicht und offen, kompakt und durchlässig in Balance.
Dies gilt auch für die Arbeiten des folgenden Jahres, die sich nun wieder der Musik als inspirierender Quelle zuwenden. Bei »Losgelöst – hochschwebend« (nach Gluck) wie bei »Leggiero – Schwarz schwebt mit« bringt Grochowiak die dichte Farbmasse in einen Schwebezustand. Angeregt von Glucks Chor seliger Geister aus »Orpheus und Eurydike« formen sich bei Grochowiak runde Farbflächen zu Kugeln, die sich im Kern aus Violett und Schwarz zusammensetzen und von leuchtendem Goldgelb umhüllt scheinen, das ihnen bei aller Schwere und Dichte ermöglicht, sich von der Erdenschwere zu lösen und in die Höhe zu schweben. Bei anderen Arbeiten dieser Zeit öffnen sich die geschlossenen Farbflächen zunehmend in ein dichtes Gewebe von Farbflecken und ausfließenden Linien, die in freier, lebhafter Bewegung sich teils überlagernd verdichten, teils in einzelne Spuren verlieren (»Leggiero – Schwarz schwebt mit«, 1959). Bei dem im selben Jahr entstandenen Bild »Hommage a Debussy« dehnt sich das Farbgeflecht bis zum Bildrand aus und verdichtet sich zu einem flirrenden Farbteppich.
Die synthetische Tusche, mit der Grochowiak seit 1958 arbeitet, verbindet leuchtende Farbkraft mit matt schimmernder Transparenz. Grochowiak entdeckt dieses neue Farbmaterial zufällig bei Hafenarbeitern in Amsterdam, die damit Kisten beschriften. Es stellt sich für ihn als ideales – wenn auch, wie er erst 1962 erfährt, als äußerst gesundheitsgefährdendes – Arbeitsmaterial heraus. Leuchtend und materialhaft, lässt sich diese Tusche mit Pinsel, Feder oder Fingern auftragen, ist durch Verdünnen zum Fließen zu bringen, lässt sich auswischen oder auswaschen. Wie Anneliese Schröder beschreibt, bemächtigt sich Grochowiak des neuen Materials »mit wahrer Besessenheit«. 1959 entstehen eine Fülle von Arbeiten, die aus dem informellen Gestus erwachsend Farbe und Form in schwebenden Einklang bringen, ob im offenen Geflecht fließender Linien, die an kalligraphische Zeichen erinnern (»Rhythmus der Zeichen – Carceri«, 1959) oder im dichten Gitter zerfließender Farbflecken, bei dem die schwarzen Flächen eng, fast bedrohlich zusammenrücken, aber durch darunter liegendes Goldgelb und Blau gelöst und ins Schweben gebracht werden (»Durchlichtet über Blau (2. Fassung)«, 1959).
Zwei Arbeiten von 1962, »Mancando« und »Blulei« zeigen eine formale Aufgabenstellung, die Grochowiak als Thema »Balken und Flecken« bis in die 90er Jahre immer wieder beschäftigen wird. Frei aufs Papier gesetzte Flecken synthetischer Tusche in leuchtenden Farben, die von feinen Spritzern umgeben in schwebender Bewegung zu sein scheinen, konfrontiert Grochowiak mit geschlossenen, eher großflächigen schwarzen Blöcken, die er mit chinesischer Tusche ins Bild setzt und noch im nassen Zustand weitgehend wieder auswäscht, so dass die Block-Formen wie durchscheinend oder ins Papier geprägt wirken. Trotzdem sind sie aber in ihrer kompakten Form statisch und werden erst durch die sie umschwebenden buntfarbigen Farbflecken belebt und bewegt.
Durch Thomas Grochowiaks vielfältige kulturelle Tätigkeiten als Museumsdirektor, Ausstellungsmacher und Kommissar moderner deutscher Kunst bei Bi- und Triennalen in Paris, Bratislawa, Zagreb und Neu Delhi sowie als Präsident des Deutschen Künstlerbundes rückt sein eigenes künstlerisches Schaffen in den 60er und 70er Jahren in den Hintergrund. 1980 beendet er seine Tätigkeit bei den Museen in Recklinghausen und Oberhausen sowie bei den Ruhrfestspielen, um wieder möglichst viel Zeit zum Malen zu haben.
Eindrücke einer China-Reise – 1982 stellt er Werke deutscher Expressionisten in Peking und Neu Delhi aus schlagen sich deutlich in den Arbeiten nieder, die in den folgenden Jahren entstehen. Die riesigen, für ihn unverständlichen Schriftzeichen an repräsentativen Gebäuden Pekings setzt er als kalligraphische Phantasiezeichen um. Es sind nun Flächen und Zeichen, aus denen er seine Kompositionen zusammenfügt (»Flächen und Zeichen, ocker – blau – carmin«, 1983 und »Schlussakkord«, 1985). Mit chinesischer Tusche aufgetragen, zeigt er – in Umkehrung der Arbeiten von 1962 – blockartige Farbflächen, die von schwarzen Zeichen überlagert werden. Die an kalligraphische Zeichen erinnernden schwarzen Strukturen sind mit breitem bestimmtem Pinselstrich über die farbigen Flächen gesetzt. Im Vergleich zu den früheren Bildern ist die Komposition nun ruhiger. Die rechteckigen Farbflächen geben, vertikal und horizontal verankert, der Bildfläche Halt, bilden als stehender Farbakkord den Hintergrund für die lebhafte, aber beherrschte »Erzählung« der kalligraphischen Linienstruktur.
Im Sommer 1985 hält er sich als Ehrengast in der Villa Massimo in Rom auf. Während dieser äußerst produktiven Zeit beschließt er, seine Tätigkeiten in kulturellen Gremien zugunsten seiner künstlerischen Arbeit radikal zu reduzieren bzw. aufzugeben. Die Eindrücke des China-Besuchs wirken in den in Rom entstehenden Bildern noch deutlich nach, nicht nur im »Schlussakkord«, bei dem das schwarze Fantasie-Schriftzeichen entschieden die Farbblöcke in den Hintergrund rückt. Auch bei einem wiederum von Musik angeregten Bild wie dem »Allegro maestoso – durch Bruckner inspiriert« (1985) gibt das Zeichen, aus breiten, blauen Linien zusammengefügt, der Bildkomposition Struktur. Um dieses blaue Liniengitter legen sich verschwimmende, transparent sich überlagernde Farbflächen und Spritzer, die das gesamte Blatt zu einem dichten, lebhaft-farbigen Vielklang werden lassen.
Das große Atelier, das ihm in Rom zur Verfügung steht, ermöglicht ihm erstmals in großen Formaten zu arbeiten. Erste fächerförmige Arbeiten entstehen. Angeregt wurde Grochowiak zu dieser ungewöhnlichen Bildform durch den Besuch römischer Grabkammern unter dem Petersdom, an deren Stirnwänden auf vertieften Flächen in halbkreisförmigen oder ellipsenartigen Bögen Reste von Freskomalerei zu erkennen sind. Mit dieser ungewohnten Bildform stellt sich für Thomas Grochowiak eine neue kompositionelle Herausforderung. Das »Dreieck im Rund – Rondo Vivace« (1985) zeigt eine dicht verwobene Farbstruktur, die an das Debussy gewidmete Bild von 1959 erinnern mag. Wie dort erhält das Bild durch die schwarzen Strukturen Halt, um die herum sich die kräftig-leuchtenden Farbflächen, -tupfer und -rinnsale zu flechten scheinen.
Im folgenden Jahr entstehen wieder Musik-Bilder-, »Nach Wagner: Vorspiel zu ›Das Rheingold‹« sowie »Nach Debussy: La mer«, zwei Bilder, die die Möglichkeiten der von Grochowiak über Jahre entwickelten Technik mit farbigen Tuschen auf Papier zu arbeiten, nachvollziehen lassen. Auch die Rückseiten fertiger Bilder – mit ihren Spuren von Farben, die durchs Papier hindurch drangen – regen Grochowiak zu neuen Arbeiten an. Dies gilt etwa für das von Wagner inspirierte Bild. Die durchs Papier durchgedrungenen Farbflächen arbeitet Grochowiak in eine eng verwobene Bildkomposition ein, die von kräftigem Rosa bestimmt wird. In breiten Linien und Flächen aufgetragen wird es von dunklen Farbkrusten umgeben und überwuchert. Ungemein dicht und vielschichtig fügt Grochowiak unterschiedliche Nuancen farblicher Intensität zusammen, von blass-durchsichtigen, stark ausgewaschenen Stellen über Farbflächen in kräftigem Rosa und Blau bis hin zu Farbrändern, die sich zu schwarzen Krusten zusammenziehen und reliefhaft hervortreten. Ganz anders die Wirkung der Arbeit, die von Barbers »Adagio« angeregt wurde (auch dies ein Rückseitenbild). Hier fließen die Farben in großen Flächen weich ineinander, ganz atmosphärisch schwebender Klang.
Im Sommer 1987 arbeitet Grochowiak als Ehrengast der Villa Romana in Florenz im Gartenatelier »Limonaia«. Wie in Rom entsteht auch hier ein großformatiges Fächerbild, nun angeregt von einer entsprechend geformten Holzplatte mit Spuren alter Bemalung in den Uffizien, Fragment eines Gemäldes, das ursprünglich eine Tür umrahmte. Das Halbrund schwebt bei Grochowiak über einem schmalen Querrechteck, das formal an eine Predella denken lässt. In diese von der Kunstgeschichte vorgegebenen Formen setzt er, inspiriert von Monteverdis »Vespro della Beata Vergine«, eine ganz aus der Farbigkeit lebende Komposition: das Halbrund dominieren breite Linien in leuchtendem Blau, die sich zu geheimnisvollen Zeichen zusammenfügen. Durch sie hindurch wird, wie durch ein Gitter, ein Grund gelber, roter und grüner Flächen und Tupfen sichtbar, die unvermischt nebeneinander gesetzt Ausdruck intensiver Lebensfreude zu sein scheinen. Das gleichmäßige Halbrund durchbricht ein gelber Streifen, der wie ein Lichtstrahl von links oben schräg herab, die gesamte Fläche (bis zur eckigen Aussparung) durchbricht und durch Farbe und Richtung eine Beziehung zu dem schmalen Farbstreifen am unteren Bildrand herstellt. Dieser ist in Gelbtönen gehalten und wird unten und oben von schmalen Streifen in Olivbraun bzw. Hellgrün gerahmt. In die eckige Aussparung innerhalb des Halbrunds fließen einzelne, dünne, zartblaue Linien, Farbrinnsale, die sich zu einem zarten, durchlässigen Netz zusammenfügen und sich wie ein Schleier mildernd über das scharf ausgeschnittene Rechteck legen.
Seit 1991 setzt sich Grochowiak intensiv mit Mozarts Requiem auseinander, einem Werk, das für ihn »eine über alle irdischen Begriffe erhabene Musik« ist (Thomas Grochowiak). Es entsteht ein ganzer Bilder-Zyklus. Vorherrschende Farbe ist Schwarz, das in breiten Pinselstrichen als dichtes Netz düsterer Zeichen aufs Papier gesetzt ist. Diese schwarze Zeichen umgeben blaue und gelbe Flächen wie farbige Schattierungen oder Überblendungen, die in Analogie zur Musik die Stimmung der jeweiligen Teile des Requiems entstehen lassen. In manchen Bildern taucht – wie ein verfremdetes Auge Gottes – ein Quadrat auf, eine in sich geschlossene, ruhende Form, die dem schwebenden Gewirr schwingender Linien kompositorisch Festigkeit und Halt gibt. Beim »Dies irae« überdecken blaue Farbflecken, die in zittrige Farbrinnsale ausfransen, die schwarzen, stellenweise mit bedrohlichem Gelb akzentuierten Zeichen. Beim »Lacrimosa« verschwimmen die schwarzen Linien fast ineinander, konturiert nur von selbst zerfließenden feinen blauen Farblinien.
Auch mit der B-Dur-Sinfonie Mozarts (KV 319) setzt sich Grochowiak 1991 wiederholt auseinander. In diesem Fall lässt er sich von unterschiedlichen Interpreten der Sinfonie zu entsprechend unterschiedlichen Bildern inspirieren. Unschwer lassen sich, vor allem bei den ersten beiden Fassungen, ähnliche kompositorische Grundkonstellationen im Sinne ähnlich gesetzter Farbflächen feststellen (»Nach Mozart: Allegro assai aus: Sinfonie B-Dur, KV 319«, 1. und 2. Fassung). Die künstlerische Ausgestaltung zeigt deutliche Unterschiede. Bei der ersten Fassung (nach Michael Gielen) zeigt sich eine Komposition nebeneinander gesetzter Farbflächen, über die energische graphische Linien wie deutlich herausgearbeitete Melodiephrasen gelegt sind. Es vermittelt sich der Eindruck eines lebhaften, aber durchsichtigen und klar bestimmten Farbklangs. In der zweiten Fassung (nach Neville Marriner) ist die Komposition dichter verwoben. Bereits die den Grundklang gebenden Farbfelder sind enger aneinandergefügt. Die darüber gelegten, mit breitem Pinselstrich gesetzten schwingenden Linien verweben sich mit hellen, transparent schimmernden Flächen, die in Rinnsale und Farbkrusten ausfransend als feines Gespinst über die Struktur der Zeichen und Flächen gelegt sind, diese teilweise überdeckend aber gleichzeitig atmosphärisch verdichtend. Auch zu den anderen Sätzen dieser Mozart-Sinfonie entstanden Bilder Grochowiaks. Zum dritten Satz, dem Menuetto, zeigt er eine verspielte Komposition, die von blauen, roten und gelben Farbflächen bestimmt wird. Diese bilden den farblichen Grundklang, über den schriftartige Linien (hier mit schmalerem Pinsel aufgetragen) als melodische oder rhythmische Motive gelegt sind. Spielerisch sind einzelne Farbtupfer aufs Papier gespritzt. Helle, ausgewaschene Flächen fügen Leichtigkeit und Transparenz hinzu.
Dass sich Grochowiak nicht nur von Musik, sondern analog etwa auch von Natur- und Landschaftseindrücken zu Bildkompositionen anregen lässt, zeigen Arbeiten, die 1991 in Spanien unter dem Eindruck der Tropfsteinhöhlen von Nerja entstanden, in denen im Sommer auch Konzerte, Mozart-Opern und Ballette aufgeführt werden. Grochowiak gibt in Bildern wie »Nerja I – Reflexion auf Mozarts ›Zauberflöte‹« (1991) die geheimnisvoll schwebende Atmosphäre der zauberhaften Höhlenwelt mit ihren an Orgelpfeifen erinnernden Stalaktiten wieder. Zwischen herabfließenden Farbkaskaden in Grün-Blau und Braun öffnet sich eine weiß belassene Fläche wie ein entfernter Ausgang zum (Tages-) Licht. Die Komposition entsteht aus ineinander fließenden und übereinander gelegten Farbflächen, die vom Papier aufgesaugt und stellenweise wieder abgewaschen transparent leuchten. Wie bereits der Titel andeutet, sind beide Inspirationsquellen, Natur und Musik, für ihn gleichwertig und auch miteinander zu verbinden.
Seit 1990 (bis heute) entstehen eine Fülle von Bildern in Analogie zu Musik, nicht immer konkret auf ein bestimmtes Musikstück bezogen, vielmehr greift Grochowiak zuweilen auch nur musikalische Satzbezeichnungen auf, die für ihn den im Bild entstehenden (Farb-) Klang, die Stimmung und Atmosphäre ausdrücken. Das »Sostenuto con grazia« von 1993 etwa wird von Vertikalen in Violett, Schwarz und Grün dominiert, die von leuchtendem Gelb umgeben in ein geheimnisvolles Licht gerückt scheinen. Die Strenge der in sich ruhenden Vertikalformen löst sich nach links und rechts hin in weiche Formen auf, die ineinander verlaufend von transparent wirkenden, hellen Schlieren abgewaschener Farbe überlagert werden. Es entsteht ein schwebendes Geflecht schwerer und leichter Farben und Formen.
Auch 1994 entsteht ein Zyklus von Nerja-Bildern, die wiederum unter dem Eindruck der spanischen Tropfsteinhöhlen, ihrer Farben und Formen entstehen. Grochowiak trägt nun auf Papier, das sich durch Feuchtigkeit wellig aufgeworfen hat, Tusche auf, die er in der Folge – unterschiedlich lange – fließen und ins Papier eindringen lässt, bevor er sie wieder abwäscht. Hierdurch entsteht ein immer neues Gemenge kräftiger Farbflächen, die unmerklich ineinander fließen und sich vermischen – von Grochowiak gekonnt gesteuert. Bleiben »Farb-Seen« längere Zeit stehen, beginnt die Farbe an den Rändern zu trocknen und es entstehen flechtenartig ausgefranste Farbkrusten, die die glatte und transparent schimmernde Farbfläche der letztlich abgewaschenen Farbe umgeben. Grochowiak gibt auch diesen Bildern musikalische Satzbezeichnungen als Titel. Er macht damit die Analogie des inneren Erlebens deutlich, das sich beim Besuch der Höhlen von Nerja, beim Hören von Musik und beim Betrachten seiner Bilder einstellt. (»Aus dem Nerja-Zyklus: Leggiero« oder »lmpetuoso«, 1994). Besser als mit Sprache, mit beschreibenden Worten, drückt sich für ihn die spezifische Stimmung und Atmosphäre seiner Bilder in der musikalischen Satzbezeichnung aus. Mit ungebrochener Vitalität und Lebensfreude entstehen auch in der zweiten Hälfte der 90er Jahre Musik-Bilder von leuchtender Farbigkeit. Große, nebeneinander gesetzte Farbflächen bestimmen die Bildstruktur (»Vitalita – der Sommer zieht ein, aus dem Gustav-Mahler-Zyklus, Bild 5«, 1996).
Auch musikalische Eindrücke seiner Arbeitsaufenthalte in Andalusien schlagen sich in seinem Werk nieder. Beim »Concierto Andaluz« (1997) gibt er mit breiten Farbbalken in Rot und Blau vor hellem Gelb einen entschiedenen, leicht schwingenden Grundklang vor, der von frei gesetzten Farbtupfern und -spritzern belebt wird. Transparenz und Leichtigkeit bringen helle, ausgewaschene Tropfen und Rinnsale ins Bild, die die Balken frech überlagern. Weich ineinander fließende Blautöne bestimmen ein durch Franz Liszts »Jeux d’eau« angeregtes Bild von 1997. Auf feuchtes Papier in Tupfen und Spritzern aufgetragen, zeigt sich eine dicht ineinander verzahnte Komposition brodelnden Blaus, das nur von wenigen orangefarbenen Tupfern durchbrochen wird. Klar definiert und voneinander abgegrenzt setzt Grochowiak dagegen die Farbflächen bei dem Bild »Aus Antonin Dvoraks Welt I« (1997) nebeneinander. Leuchtend orangerote und azurblaue Flächen vor dunkelblauem Grund bestimmen die Komposition. Im unteren Bereich bilden sie als leicht geschwungene, liegende Flächen die Basis, von der aus sich Linien, die in die noch feuchte Farbe geschabt sind, strahlenförmig nach oben ausdehnen und eine Verbindung zu den am oberen Bildrand schwebenden runden Farbformen herstellen. Bei den 1999 im klaren Licht Andalusiens entstandenen Arbeiten stellt Grochowiak runde und balkenförmige Farbflächen mit weich ausfransenden Rändern nebeneinander. Sie bilden den Grundklang, ob in Blau- und Grüntönen (»Mediterràneo I«) oder in Gelb, Blau, Rot und Grün (»Verano andaluz I«). Die Lücken zwischen den großen Flächen füllt Grochowiak mit kleinen Farbtupfern, die wie Puffer die großen Flächen auf Abstand und an der Stelle zu halten scheinen. In diese schwebenden Farbflächen reißt er mit dem Spachtel im noch feuchten Zustand striemenartige Linien, die sich durchkreuzend Verbindungen zwischen den Flächen herstellen und eine reliefartige Räumlichkeit ins Bild bringen. Am Rand der Linien bildet sich als dunkles Farbgemisch ein schwarzes Liniengitter, das aber unmittelbar mit den zugrunde liegenden Farbflächen verbunden ist. Dunkle Farbspritzer scheinen zudem belebend die Oberfläche der großen Farbflächen aufzurauhen.
Zusammenfassend bleiben zwei Konstanten im Werk Grochowiaks festzustellen. An erster Stelle steht die Liebe zur Musik als immer neuer, wenn auch nicht einziger Inspirationsquelle. Auch wenn er sich häufig auf bestimmte Musikstücke bezieht und diese im Titel nennt, so entstehen Grochowiaks Bilder doch weniger nach dieser Musik als wie diese. Entsprechend wählt er häufig als Bildtitel Satzbezeichnungen, die die Musikstücke über das zu wählende Tempo hinaus auch charakterisieren (»Allegretto giocoso« o. ä.). Dem Maler Grochowiak geht es darum, die Stimmung und Erfahrung, die er beim Hören von Musik erlebt, analog im Bild mit Hilfe von Klang und Rhythmus seiner Farben zu erzeugen. Die Möglichkeiten, die ihm die farbintensive Tusche hierfür bietet, die rasche Entscheidungen und schnelles Reagieren erfordert, weiß er fulminant auszunutzen. Als weitere Konstante in Grochowiaks Werk sind die an Kalligraphie erinnernden Linien anzusehen. Durch chinesische und arabische Schriftzeichen angeregt, sind diese erzählerischen graphischen Linien über die Jahre immer wieder in seinen Bildern anzutreffen. In der Verbindung von Flächen und Zeichen, von Farbklang und Rhythmus, von Ruhe und Bewegung, von Harmonie und Melodie stellt Thomas Grochowiak sich immer neu der formalen Herausforderung, im Bild »das Schwere zum Schweben zu bringen« (Grochowiak).
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