|
|
|
Thomas Hirsch
Bewegung in Zeit und Raum
Mit dem heutigen Wissen: Fast prophetisch mutet eine Reihe von Attributen an, mit der Erwin Sylvanus bereits 1960 das Werk von Thomas Grochowiak charakterisiert hat. Dessen Thema sei »das Zusammenwirken von Ruhe und Bewegung, von geologischer Kristallisation und ortloser Lebendigkeit, von Zeitlosigkeit und Geschichte, von Schicksal und Trotz, von All und Erde, von Stabilität und Revolution«(1). Tatsächlich beinhalten die meisten der Bilder, die Grochowiak zuvor und seither geschaffen hat, antagonistische Prinzipien. Dies im Rahmen einer Handschriftlichkeit, die ihre Eigenheiten und Verfahren bewahrt, ein Bündel an Motiven entfaltet, spezifische Anliegen behandelt, umkreist und sich im übrigen in verschiedene, aufeinander folgende, dann wieder rückgreifende Werkphasen gliedern lässt.
Als wesentlicher Impuls in Grochowiaks Werk erweist sich (darin stimmt die Kunstkritik seit jeher überein) Musik(2). Bereits 1932 entstehen mehrere kleinformatige Bilder, die den Charakter, die Empfindung von Musik bildnerisch zum Ausdruck bringen, schon hier im aquarellierten Auftrag der Farben (abstrakte) Formen nurmehr in der Auflösung umschreibend, lineare Schwünge über die Farbfläche ›peitschend‹. Auch wird, bei einzelnen dieser Arbeiten, die musikalische Referenz im Titel benannt. Und auch wenn sich Grochowiak wenig später, vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund, der realistischen Darstellung zuwendet, das Thema und Motiv der Musik geht ihm nicht aus dem Sinn. So wäre auf ein Gemälde zu verweisen, das heute in Grochowiaks Ausstellungshalle in Kuppenheim hängt und »Die Loge« (1946) betitelt ist(3). Zu sehen sind vier Personen, zwei Frauen, dahinter zwei Männer, in unterschiedlichen Haltungen mit konzentriertem, fast in sich gekehrtem Ausdruck, vor sich eine Brüstung, auf dieser ein Opernglas. Wie Thomas Grochowiak berichtet, handelt es sich hier um Porträts, entstanden während die Personen der Musik Beethovens lauschten(4). Musik stimuliert die Szene; angesprochen wird implizit ihr transzendierender Zug. Grochowiak fängt Klang ein, welcher innerbildlich, im dunklen Farbton und der Sachlichkeit der Beschreibung, nachschwingt.
Zu den frühen Arbeiten, in denen Musik gegenwärtig ist, zählen die Blätter, die 1947/48 – und lediglich in diesen beiden Jahren – entstehen und das Über- und Nebeneinander teils ornamental verschlungener, in ihrer weichen Formung biomorpher Konfigurationen zeigen. Insgesamt durchaus Kandinsky, auch Baumeister verwandt, ›schweben‹ sie in unterschiedlicher Höhe im Farbgrund(5). Gebändigte Vitalität deutet sich, nicht ohne Witz, inmitten eines gleichförmig klingenden Raumes an. Bezugspunkt dieser Arbeiten ist der Ausdruckstanz etwa von Mary Wigman, Gret Palucca, Dore Hoyer(6). Vielleicht lassen sich Grochowiaks Darstellungen als Umschreibungen von Bewegungsabläufen empfinden. Bisweilen verselbständigen sich die Linien, bilden eigene Formen und Zeichen. Die Konfigurationen selbst sind, durch Licht und Schatten als Körper moduliert, klar bestimmt, entsprechen hierin den vorhergehenden wie auch nachfolgenden (dezidiert flächig beschriebenen) gegenständlichen Bildern. Auch bei den Werken, die anschließend 1953/54 einsetzen und bis Ende des Jahrzehnts entstehen, fungiert die feste Kontur als Ausdrucksträger. In erdiger Tonalität, eher kubisch und mit der Anmutung eines Holzschnitts, werden freie Konstellationen – Gesehenes ungegenständlich umsetzend skizziert. Mitunter geht Grochowiak ›nach‹ Musik vor: Er nennt diese beim Namen, fügt Haydn und Milhaud dem Titel hinzu – so wie dies im Verhältnis der Partien zueinander, der Rolle von Bildgrund und Auftrag sowie der Farbigkeit atmosphärisch und strukturell vermittelt ist. Die klassische Musik wird von nun an bei der Bildwerdung eine Rolle spielen, ohne dass dies Alternativen ausschließen würde (so die Gestimmtheit während der Zeit in der Villa Massimo in Rom, das Licht und die Flora in Andalusien oder, als ebenso visuelles Erlebnis, die »Orgelpfeifen« der Tropfsteinhöhlen in Nerja)(7).
In diesen Jahren, während eines Aufenthaltes in Amsterdam 1958, entdeckt Thomas Grochowiak synthetische Tusche, die nun zum ausschließlichen Malstoff wird. 1980 wird diese durch chinesische Tusche abgelöst, welche wieder ganz andere Möglichkeiten bietet, die er vertieft und perfektioniert: Wie die Tusche auf und in dem Büttenkarton steht, im nassen Zustand auszuwaschen ist, wie sich die Farben in den Senken des zuvor befeuchteten, dadurch gewellten Kartons sammeln und vermischen, oder wie sie mit Papierstücken, die Grochowiak auflegt, wieder herausgesogen werden, so dass die erneut weißen Partien, eingebrannten Löchern vergleichbar, eigene Positivqualitäten entfalten. Oder er bemalt zunächst die Rückseite, worauf die Farbe partiell durch die Fasern dringt und nun zum Ausgangspunkt für die ›eigentliche‹ Darstellung wird. Jedoch gibt es auch Blätter, bei denen sich schließlich auf beiden Seiten ein gültiges Bild befindet. Und Grochowiak wahrt den Bezug zu den Musikstücken, die ihn beschäftigen, wobei verschiedene Sätze, ebenso unterschiedliche Interpretationen aufgegriffen werden. Franz Joseph van der Grinten hat den Zusammenhang von Intention und Malstoff aufgezeigt: »Ungebremste Handschriftlichkeit aus dem harmonisch gespannten Duktus des Pinsels und dünnflüssiger Farbe erlaubt den sinnenden Übertrag des melodisch Gehörten ganz unmittelbar ... Aber nicht ins bloß leicht Mitschwingende geraten die Bilder. Haben sie Mozarts Heiterkeit, so doch auch dessen Schwere. Das Dunkle ist auch im Lichtgeriesel gegenwärtig. Es gibt gewissermaßen den Generalbass, der die eigentliche Melodie um so leichter perlen zu lassen scheint.«(8)
Über sein Verhältnis zur Musik hat sich Thomas Grochowiak wie folgt geäußert: »Ich höre und erlebe im Konzertsaal und bei weitem häufiger durch Television und Cassettenrekorder Musik. Manches bleibt bei mir hängen, begeistert mich, irritiert mich, stellt mich vor Fragen – wie in der Malerei. Melodien lassen mich nicht mehr los, bestimmte Komponisten und Kompositionen faszinieren mich, bringen sich drängend in Erinnerung. Farbfolgen und bildrhythmische Entsprechungen dazu werden wach, musikalische Passagen in der Vorstellung in Farbkonstellationen umgeschmolzen. Ein Musikerlebnis – den Klang in den Ohren – soll der Auslöser, das Grundthema eines neuen Bildes werden. Der weiße Malgrund wartet schon auf die ersten Töne ...«(9). Tatsächlich entstehen seine Gemälde mehr aus dem reflektierenden, weitersehenden Bewusstsein von Musik; die synchrone Arbeit erfolgt lediglich in Bezug auf Details und in der Überprüfung der Ergebnisse(10). Grochowiak erzielt eine Gleichzeitigkeit dessen, was akustisch einzig als Abfolge wahrgenommen werden kann, er transponiert ein Medium in das andere. Aber er geht wie ein Dirigent vor; und er arbeitet diejenigen Instrumentierungen in ihrem Zueinander heraus, die das Wesen des Musikstückes bestimmen. Karin von Maur betont (hier in Bezug auf das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts), »dass die Farben ebenso wie die Töne ihre Klangqualität haben und dass sie unabhängig vom gegenständlichen Lokalkolorit nach musikanalogen Harmoniegesetzen zu behandeln sind, wenn sie ihre volle Eigenschaft entfalten sollen.«(11)
Obwohl Grochowiak vermittels des Fließens der Tusche den Zufall einbezieht: Seine Ergebnisse sind alles andere als beliebig, sie sind verbindliche und austarierte, in ihrer Temperierung nachvollziehbare, aber nie illustrative Interpretationen an der Grenze von Subjektivität und objektiver Beobachtung. Analog zu den Stücken, die ihn beschäftigen, und den handwerklichen Möglichkeiten, die er allmählich erweitert, wandeln sich die Gemälde. So platziert Grochowiak Ende der 50er Jahre breite Balken in der Horizontalen, die sich minimal überlappen, gewissermaßen aus dem Bildgrund auftauchend und doch in diesen entschwindend. Das Transparente der Balken, die sich bis an die Blattgrenzen dehnen, lässt die Farbflächen ›verwaschen‹ tiefenräumlich erscheinen. Ein großer Teil des Blattes bleibt weiß; lediglich eine Verdichtung gestisch dynamischer Pinselzüge schafft ein Gegengewicht.
Aber wenige Jahre später entwickelt Grochowiak ein dunkles netzartiges Gespinst, das sich über das gesamte Format ausbreitet, über roten und weißen Farbfetzen, diese inmitten eines Grundes aus grünen Schlieren. Raumgefühl und Tektonik folgen damit anderen Regeln, vielleicht bringt der Titel einer Arbeit – »Tempostoso – Im Dickicht der Rhythmen« (1959) – den Inhalt dieser Gemälde auf den Punkt. Etliche Werke wirken, auch in späteren Jahren, vegetativ; in den neunziger Jahren suggerieren sie gar den Eindruck eines Waldstückes, mit Spitzen als (Tannen-) Gipfel sowie, zwischen diesen, Kreisen – augenblicklich klingt die kosmologische Welt eines Paul Klee an. Zwischen Reduktion, sparsamer Orchestrierung und einem dramatischen ›wolkigen‹ Zusammenballen, allmählichen ›Verwehen‹ über der Bildfläche wechseln die Werkgruppen bei Thomas Grochowiak. Auf starkfarbig barocke Formulierungen in mehrschichtiger Überlagerung folgt das Erkunden eines Farbtons in seinen Nuancen oder die fast monochrome, in jeder Bewegung verhaltene Dunkelheit – kulminierend in Grochowiaks Auseinandersetzung mit dem Requiem von Mozart (KV 626), in dem er (erstmals seit Jahrzehnten wieder) Schwarz, fast in Ausschließlichkeit, verwendet ...
Die jüngsten, im Herbst 1999 in Andalusien entstandenen Bilder insistieren erneut auf der Begrenzung der Farbigkeit. Ein dunkles gesättigtes Blau dominiert, teils sind unterschiedliche Blautöne zueinander in Beziehung gesetzt. Überwiegend finden sich organisch anmutende Rundformen, die nebeneinander platziert sind, dadurch den Bildgrund weitgehend besetzen, nur gelegentlich scheint der weiße Karton durch. Einzelne Kreisformen forcieren die Wahrnehmung, dann wieder leiten analoge gelangte Formfindungen durch das dichte Bildgeschehen. Seit einigen Jahren fügt Grochowiak, mit einem zugespitzten Bambusstab oder einem Spachtelmesser, ›Schnitte‹ in die noch feuchte Farbmasse; so auch in diesen Gemälden. Die blaue Farbe wird an die Ränder geschoben, als Kontur (die an die Bleieinfassungen von Glasfenstern erinnert), welche sich zur scherbenartigen Spitze verjüngt, fährt sie durch das Bild, kreuzt sich.
Bei aller Bestimmtheit und dem Einhalten des Grundtons aber handeln Grochowiaks Bilder von den Zwischentönen, wie sie, feinnervig, (klassische) Musik zum Ausdruck bringt. Nachhall und Erinnerung, die Balance von Dynamik und Statik, Raum und Zeit in Verschränkung, der Prozess als Ergebnis des Bildes: Zu Recht wurde hiervon in Bezug auf Grochowiaks Arbeiten gesprochen. Anneliese Schröder hat, durchaus an Sylvanus anschließend, vermerkt, dass es Grochowiak um die »Welt in ihrer Komplexität: Makro- und Mikrokosmos: dauernder Wandel und ewig Unveränderliches« gehe(12). Seine Welten sind ästhetische Gegenwelten, die aus der Wirklichkeit schöpfen und sinnbildlich für diese und deren Polaritäten stehen. Grochowiaks Mittel, mit dem er dies erkundet und realisiert, ist das der Malerei.
Düsseldorf, Dezember 1999
|
|
E. Sylvanus, zit. Ausst. Kat. Witten 1984, S. 7.
|
|
|
Vgl. hierzu bes. F Ullrich, Ausst. Kat. Recklinghausen 1986, S. 3–8; H.-J. Schwalm, Ausst. Kat. Recklinghausen 1991, S. 7–12; F. J. van der Grinten, Ausst. Kat. Baden-Baden 1994, S. 5.
|
|
|
Abgebildet in der Monographie Th. G., Köln 1994, S. 34.
|
|
|
Gespräch mit Th. G., Kuppenheim 27.11.1999.
|
|
|
Formale Bezüge in der Gestaltung der Figurationen liegen natürlich zu Hans Arp und Henry Moore vor.
|
|
|
Gespräch mit Th. G. 27.11.1999, der diese Tänzerinnen kennen gelernt hat. Deutlicher auf einem Karton, abgeb. Monographie Köln 1994, S. 54.
|
|
|
D. Schmidt, in: Monographie Th. G., Köln 1994, S. 40; vgl. auch Th. G., in Ausst. Kat. Baden-Baden 1994, S. 2.
|
|
|
F. J. van der Grinten, Ausst. Kat. Baden-Baden 1997, S. 3.
|
|
|
Th. G., Ausst. Kat. Recklinghausen 1986, S. 9.
|
|
|
vgl. hierzu I. LaPlante, Ausst. Kat. Recklinghausen 1991,S.94.
|
|
|
K. v. Maur, in: »Vom Klang der Bilder«, Ausst. Kat., Stuttgart, München 1985, S. 9.
|
|
|
A Schröder, Monographie Th. G., Recklinghausen 1967, S. 21.
|
|
|
|
|